Brehms Tierleben ist nur für Durchschnittstiere

Geschrieben am: 26.06.2008 16:02
Abgelegt unter: Gefühltes

Der Durchschnittsdeutsche ist 1,75 m groß ist und hat 1,6 Kinder. Das Durchschnittsmurmeltier pfeift bei Gefahr, die anderen sparen sich den Lärm.  Neulich las ich: "Rothirsche sieht man außerhalb der Brunst nie." Nun, mir lief schon eine alleinerziehende Rothirschin mit zwei Kindern über den Weg, und zwar in aller Ruhe. Eine andere traf ich auf einer aufgelassenen Hochalm. Eine weitere sah ich allerdings tatsächlich zur Brunstzeit. Sie schaute bereits am hellichten Nachmittag erwartungsvoll aus dem Dickicht.

Nur das Durchschnittstier hält sich an die Vorgaben der Tierforscher. Die andern machen, was sie wollen.

Es gibt auch Tiere, die sich für Menschen halten. Wie Rudi, der Hirsch aus Berchtesgaden, der gerne Auto fuhr (nicht am Steuer) und gemütliche Abende auf der Couch liebte. Er wurde als Kitz im Wald gefunden und wohnte später bei den Wirtsleuten vom Oberkälberstein. Das ist wörtlich zu verstehen, denn mit den Hirschen im Gehege hatte er gar nichts am Hut. Er hielt lieber auf der Terasse Hof oder döste auf dem Balkon. Wenn ihm langweilig war, ging er hinunter in die Fußgängerzone, ließ sich bewundern und badete nackt im Marktbrunnen.

Haben Tiere menschliche Eigenschaften oder tun sie nur so? Neulich flog ein Rabe über mich hinweg. Immer abwechselnd gab er einen Krächzer von sich und drehte sich kurz auf den Rücken. Krächz-schwupps-krächz- schwupps-krächz-krächz-schwupps. Wozu? Ich vermute: reine Angabe. Nur um zu zeigen, dass er das kann.

Andere Leute sehen so etwas auch. Der Enzian-Hubs erzählte, dass ein Adler direkt bei ihm an der Hütte vorbei und unter der niedrigen Stromleitung durchfliegt - aus reiner Gaudi. Das würde ihm niemand glauben, meinte er. Ich glaube das sofort und ohne Enzian.

Vor einigen Wochen sah ich von der Rotspielscheibe aus einen Luftkampf, an dem ein Rabe und zwei Adler beteiligt waren. Ursprünglich hatte wohl der Rabe die Adler gejagt, das kommt öfter vor. Aber als ich auf die Sache aufmerksam wurde, hatten die Adler den Spieß umgedreht, und der Rabe befand sich auf der Flucht. Trotzdem fand der Rabe noch Zeit, sich kurz auf den Rücken zu drehen. Offensichtlich um zu zeigen, dass er doch noch was drauf hat.

Sofort darauf drehte sich einer der Adler ebenfalls kurz auf den Rücken. Und wieder zurück. Was du kannst, kann ich schon lange. Oder was sonst?
Nachdem sie den Raben in die Schranken gewiesen hatten, verschwanden die Adler dicht nebeneinander fliegend und laut schimpfend Richtung Priesberg.

Ich stand noch eine Weile da und überlegte, ob ich geträumt hatte. Aber nein, ich hatte eindeutig beide Seiten des Adlers gesehen. Die schön gezeichnete braune Oberseite und die Unterseite mit den großen weißen Flecken an den Flügeln, die ihn eindeutig als Jungtier auswiesen.

Vielleicht handelte es sich um die beiden Geschwister, die letztes Jahr im
Wimbachtal ausgebrütet wurden? Das würde erklären, warum zwei Jungadler zusammen jagten.

Die Mutter der beiden hat mich letztes Jahr einmal ziemlich beschimpft, weil ich Anfang August in dem Glauben, die Brutzeit wäre vorbei, dem Horst zu nahe kam. Ich hatte damals ein recht schlechtes Gewissen und war sehr froh, als ich hörte, dass sie sich nicht vom weiteren Brutgeschäft hatte abhalten lassen.

Seitdem weiß ich, dass es den sogenannten Girlandenflug der Steinadler wirklich gibt. Aber wenn der nichts hilft bzw. man sich nach Meinung des Adlers nicht schnell genug aus dem Staub macht (ich kann nun mal nicht fliegen),  zieht er andere Seiten auf. Der Vogel setzte sich in meiner Nähe in einen Baum und verlegte aufs Schimpfen. Wie ein Rohrspatz. Ein ziemlich großer Rohrspatz mit einer Spannweite von 2 Metern.

Dann gibt es Haustiere, die gerne bergsteigen. Und nicht auf irgendwelche Hügel. Die Geschichte über den "Chien alpiniste" Schäferhund Bobby habe ich irgendwo schon einmal verlinkt. Hier ist noch die Geschichte über den Bergsteigerkater Tomba.

Derart humanoides Verhalten macht es schwer, Tiere nicht zu vermenschlichen. Und - mal ehrlich - es macht auch Spaß sich zu überlegen, was dieser Vogel oder jenes Mankei wohl gerade denkt. Rein verstandesmäßig ist einem klar, dass Auerhähne kein Tagebuch führen und Dreizehenspechte sich nicht für Digitalfotografie interessieren.

Aber weiß man es wirklich? Wenn ich durch die Natur wandere, fühle ich mich nicht so weit entfernt von den Tieren. Und oft denke ich, dass die Tiere dies merken. Das klingt arg esotherisch, vor allem für die Schamanen unter meinen Bekannten, die sonst immer unter meinem sarkastischen Rationalismus zu leiden haben.

Aber was dachte das Gamskitz auf der Reiteralpe, das auf mich zuhüpfte, bis ich es fast streicheln konnte? Was dachte seine Mutter, die das Ganze mit ansah? Oder die Gämsengruppe, die uns in den Ammergauern stundenlang fasziniert bei Rutsch-Übungen zusah? Wollten sie was lernen? Haben sie sich amüsiert? Ich glaube, sie werden noch ihren Enkeln davon erzählen.




Kommentare

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Herwig
  Freitag, 27-06-08 00:44
Was dachte jenes FeldHasenJunges, das ich in den 70-gern auf einer ForstStrasse bei Clausthal aufscheuchte, und das bei seinen Flucht-Zick-Zack mit einem "Zack" genau in meinen Armen landete?

Wir haben uns eine Zeitlang recht bloed angeschaut, und da ich keine Vorstellung davon hatte, was ich mit einem jungen Hasen anfangen koennte, liess ich es wieder frei.

Ich glaube, er hat es noch seinen Enkeln erzaehlt: "Wie ich einen Riesen-Menschen foppte!"


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