Mein Kreuzbandriss oder auch "Die unendliche Kniegeschichte" (lang)
Geschrieben am: 06.03.2007 16:43
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Gefühltes
Am 13.1.2006 hab ich mir beim Skifahren das linke vordere Kreuzband gerissen. Normalerweise verletze ich mich nie ernsthaft, obwohl ich oft falle. In meiner Jugend bin ich sicher fünfzigmal vom Pferd gefallen, und auch beim Skifahren lag ich oft mehr als dass ich fuhr. Ich konnte es nie besonders gut, stand mit 24 das erste Mal auf Skiern, hab dann zwei Kurse gemacht und fertig. Es reichte, um auf halbwegs gut präparierten Pisten zu fahren, die auch steil sein durften, aber nicht bucklig.
Doch damit kommt man hier in Berchtesgaden nicht weit, deshalb wollte ich an dem bewussten Wochenende das Tourengehen lernen. Der Versuch war untauglich, wie ich heute weiß. Denn obwohl es sich angeblich um einen Anfängerkurs handelte, beherrschten alle Teilnehmer außer mir das Fahren im Tiefschnee bereits. Ich hätte einen Skikurs gebraucht und keinen Tourenkurs.
Wir fahren ein paar Mal Piste, dann einen zerfahrenen Hang mit recht festem Schnee. Ich kriege keine Kurve, fahre immer geradeaus, bis ich umfalle. Dann soll ich hinter dem Skilehrer herfahren und Stemmbogen machen. Das klappt zwei Kurven. Dann falle ich wieder um. Schließlich ist Mittag, ich bin ziemlich fertig, genervt und kalt. 100 Meter vor der Hütte verkante ich die Ski, falle nach vorn, spüre etwas reißen.
Danach kann ich links keinen Druck mehr ausüben und nur noch Rechtskurven fahren. Ein älterer Teilnehmer, der selbst schon mal einen Kreuzbandriss hatte, tippt sofort richtig. Es wird aber nichts unternommen, der Kurs fährt weiter, und ich fahre allein auf einem Bein ins Tal.
Ich kann stehen und vorsichtig gehen, aber sowie ich das Bein etwas mehr belaste, tut es wieder im Knie weh. Es schwillt jedoch überhaupt nicht an, was bei einem Kreuzbandriss eigentlich zu erwarten gewesen wäre - vielleicht weil mir so kalt war.
Am folgenden Montag gehe ich zu Orthopäde Nr. 1. Der stellt fest, dass das Kreuzband wahrscheinlich gerissen sei, rät mir aber, mit einer Operation noch zu warten oder überhaupt keine vornehmen zu lassen, da das Knie stabil sei. D.h. er macht den Schubladentest und weil es keine Schublade gibt, will er nicht operieren. Aber ich will nicht mein Leben lang irgendwelche Aufbauübungen machen müssen. Er sagt abwarten und Krankengymnastik.
Ich bekomme eine Orthese verschrieben, die ein Fall für sich ist und die ich kaum trage, außer einmal beim Radfahren über den zugefrorenen Königssee. Ein MRT wird gemacht, auf dem man aber wohl nicht wirklich was erkennen kann. Der erste Orthopäde rät weiterhin von einer OP ab.
Ich gehe zu einem zweiten Orthopäden, den jemand empfohlen hat, und den ich im Folgenden Nr.2 nennen werde. Der ist sehr dynamisch und sagt mir gleich, dass das Knie selbstverständlich operiert werden müsse. Nun habe ich inzwischen schon ein bisschen im Internet recherchiert und herausgefunden, dass es im wesentlichen zwei Operationsmethoden gibt: Bei der ersten wird der mittlere Teil der Patellasehne als Implantat verwendet, bei der anderen die Semitendinosussehne. Ich habe auch gelesen, dass letztere heutzutage bevorzugt wird.
Nr. 2 ist aber für die Patellasehne, mit der Begründung, die würde besser halten. (Später erfahre ich, dass der Grund für diese Empfehlung wohl darin lag, dass Nr. 2 die andere Methode gar nicht beherrscht, ich jedoch Privatpatientin war, so das die einstündige Operation schöne 3.000 Euro in die Portokasse brachte.)
Am 10. Februar 2006 werde ich operiert. Nach der OP habe ich ständig starke Schmerzen. Zwei Tage lang bleibt der dicke Verband dran, aus dem ein Schlauch für die Drainage herauskommt. Als der Verband entfernt wird, sehe ich einen der Gründe für die Schmerzen: Man hat den Schlauchverbinder, der die beiden dünnen Schläuche aus den beiden Arthoskopielöchern zu einem dickeren Schlauch verbindet, direkt auf der Haut mit in den Verband gewickelt, und zwar seitlich außen am Knie, dort wo das Seitenband verläuft, das bei meinem Sturz auch etwas abbekommen hat. Dort sind bis heute einige kleine Narben auf der Haut zu sehen, deshalb weiß ich auch genau, wo das Ding mit den Kanten lag.
Die Entlassung nach drei Tagen sieht so aus, dass ich im Rollstuhl bis zum Auto meines Mannes gefahren werde, da an laufen auch mit Krücken noch nicht zu denken ist. Nach zehn Tagen gehe ich zum ersten Mal zur Physiotherapie und dann regelmäßig 3 bis 5 mal in der Woche. Nach drei Wochen fange ich nach Anweisung von Nr. 2 auch mit Krafttraining an. anfangs kann ich nur auf einem speziellen Ergometer mit reduziertem Pedalweg fahren, nach einigen Wochen auf dem normalen. Ich mache Übrungen für diverse Muskeln, immer dreimal dreißig. Die Phsiotherapeutin beugt und streckt mein Bein und widmet jede Menge Zeit einer verkürzten Sehne. Außerdem lässt sie mich Treppen steigen oder auf irgendwelchen Dingen balancieren. Das Ganze mache ich drei Monate lang, aber es tut sich kaum etwas. Das Bein lässt sich nach wie vor nicht vollständig strecken, im Gegenteil, die Bewegungen sind jetzt zäh, als wäre das Bein ein Expander. Dadurch wird es scheinbar stabiler, was auch das Ziel dieser Körperreaktion ist, aber eigentlich nicht das Ziel der Reha.
Ich habe die ganze Zeit Schmerzen bereits beim normalen Gehen, zumindest wenn ich mich bemühe, das Bein halbwegs normal zu strecken. Bergab habe ich Schmerzen bei jedem Schritt.
Die Termine bei Nr. 2 bringen keine neuen Erkenntnisse. "Sie haben einen starken Beugetonus," ist die Begründung, warum ich das Bein immer noch nicht strecken kann.
Anfang Juli 2006 versuche ich, mein Bein gewaltsam mit Muskelkraft zu strecken, gegen Schmerzen und jeglichen Widerstand. Plötzlich fährt mir ein wahnsinniger Schmerz hinein, dass ich laut aufschreie. Das ganze Haus muss es gehört haben. Benommen setze ich mich hin. Ich denke: 'das gibt's nicht' und versuche es noch einmal. Ich schreie wieder. Danach kann ich nicht mehr laufen, die wenige Kraft, die ich im Bein hatte, ist weg, jeder kleine Schritt tut jetzt weh.
Ich fahre zu Nr. 2, der ist jedoch in Urlaub. Seine Vertretung lässt ein weiteres CRT machen, darauf kann man sehen, dass das neue Kreuzband noch dran ist. Er spritzt Cortison ins Knie, das tut auch ganz gut. Man sagt mir, das es sich wahrscheinlich um ein "Überstreckungstrauma" handele. Was immer das sein mag.
In der folgenden Woche ist Nr. 2 wieder da, und meint, ich hätte bei meinem Streckversuch "Verklebungen gelöst", das wäre gut, und ich würde "davon profitieren". Ich selbst bin der Meinung, dass ich mir damals den Schollenmuskel gezerrt habe, denn ich merke heute immer noch, dass tief innen in der Wade etwas mit dem Muskel nicht stimmt. Wie auch immer, ich konnte jedenfalls nach dieser Aktion 3 Wochen lang praktisch überhaupt keine Übungen machen und kaum laufen.
Da die bisherige Physiotherapie mir kaum geholfen hat, komme ich zu dem Schluss, das Physiotherapie sinnlos ist und beschließe, nur noch Krafttraining zu machen. Zu dem Zweck melde ich mich im "Therapiezentrum Hirschbiel & Heimendahl"an. (Disclaimer: Mit dem vorsintflutlichen Erscheinungsbild dieser Website habe ich nichts zu tun.) Ich bekomme einen Termin zur Einweisung in die Geräte. Ein gewisser Tobias erklärt mir gleich als erstes, dass ich eigentlich Physiotherapie brauche und das Training nur Ergänzung sein könne. Ich halte das erstmal für Geldschneiderei, aber er redet so ernsthaft auf mich ein, dass ich mir ein Rezept hole und mich zur Physiotherapie anmelde.
Fortan befinde ich mich in den Händen von Marcus Hirschbiel. Der erklärt mir als erstes, dass ich und meine Therapeuten bisher ziemlich viel falsch gemacht haben.
Als erstes verbietet er mir jegliche Curls, die mir Arzt Nr. 2 ausdrücklich empfohlen hatte. Diese unnatürliche Bewegung in offener Kette sei Gift für ein instabiles Knie.
Als zweites erklärt er mir, warum mein Bein so steif ist und was man dagegen tun kann: Nach einem Kreuzbandriss ist es sehr wichtig, spätestens drei Monate nach der OP die volle Streckung und die volle Beugung wieder zu erreichen, weil sich sonst im Gewebe Querverstrebungen bilden, die die Bewegung einschränken. Das Bein wird im Prinzip mehr oder weniger steif. Damit versucht der Körper, die verlorene Stabilität des Knies auszugleichen. Wenn das einmal eingetreten ist - wie es bei mir der Fall war - hilft keine nette Gymnastik und auch keine Massage. Das einzige was hilft ist, den Muskel so zu stressen, dass er jede Menge Laktat ausschüttet. Das Laktat sei in der Lage, die Eiweißverbindungen aufzulösen. Dazu muss man das Bein maximal beugen, in dieser schmerzhaften Haltung 40 Sekunden bis 2 Minuten halten und am Ende am besten noch einen Ruck geben. Er fängt gleich damit an.
Und damit zu Hause nicht gleich alles zurückschnurrt, soll ich alle 4 bis 6 Stunden maximal beugen und maximal strecken. Das tut natürlich auch weh. Aber es hilft. Nach ein paar Wochen ist ein wesentlicher Teil der Steifheit weg.
Damit war das Bein aber noch nicht stabil, und ich konnte auch noch nicht normal gehen. Da das Gewebe das Bein nicht mehr von der Bewegung abhielt, konnte ich zwar besser strecken, aber ich spürte jetzt einen neuen Schmerz, nämlich ein scharfes Stechen in der Mitte des Knies. (Heute weiß ich, dass da das Kreuzband gegen die sogenannte Nodge, eine Kante am Oberschenkelknochen, scheuerte.)
Auch sonst war die Bewegung noch nicht frei. Wenn ich das Bein im Sitzen nach vorne streckte, rasselte das Knie wie eine alte Zugbrücke. Und bei allen Belastungen benutzte ich nach wie vor zu 80% mein rechtes Bein. Der rechte Quadriceps wurde jedenfalls immer größer. Trotzdem wanderte ich tagelang im Gebirge herum, in Zeitlupe und vorzugsweise dort, wo mich niemand sehen konnte.
Als er nach einigen Wochen keine weitere Besserung erreichen konnte, kamen Marcus Zweifel, ob da in meinem Knie wohl alles in Ordnung sei. Er war der erste, der sich wirklich dafür interessierte, wie es mir ging. Er empfahl mir, das Knie von einem weiteren Orthopäden anschauen zu lassen, und zwar von Dr. Müller-Kittnau in Rosenheim. Ich wusste zunächst nicht, was das bringen sollte, vielleicht hatte ich auch Angst davor zu hören, dass bei mir nichts mehr zu machen sei. Aber der weltbeste Physiotherapeut machte mir so lange Dampf, bis ich schließlich im November 2006 hinging.
Das Ergebnis der Untersuchung: Starke Vernarbungen im Gelenk, die die Bewegung einschränken und nur operativ durch eine sogenannte Arthrolyse entfernt werden können. Außerdem ließ Dr. Müller-Kittnau sehr deutlich durchblicken, dass er die Methode, das Implantat aus der Patella zu gewinnen, bei mir niemals angewendet hätte. Bei dieser Methode würden genau die Komplikationen, die ich hätte, sehr häufig auftreten.
Auf jeden Fall: Entweder die Schmerzen weiterhin aushalten oder erneut unters Messer. Das war für mich ein Schock. Nach 10 Monaten Schmerzen sollte nun alles von vorn losgehen? Dr. Müller-Kittnau sagte mir zwar, dass die Operation längst nicht so umfangreich und hinterher relativ schnelle Besserung zu erwarten sei "außer es blutet stark, dann dauert es etwas länger". Es wäre eine Frage meiner Schmerztoleranz, ob ich lieber operiert werden oder lieber weiterhin die Schmerzen aushalten wolle.
Die Schmerzen wollte ich loswerden, also unterzog ich mich am 10. Januar 2007 im Klinikum Vogtareuth der Arthrolyse. Hier lief alles wesentlich anders als bei der ersten OP. Ich hatte nach der Operation überhaupt keine Schmerzen, da ein Schmerzkatheter den zuständigen Nerv komplett außer Dienst stellte. Und als der Katheter gezogen war, gab es ausreichend Schmerzmittel.
Dr. Müller-Kittnau kam vorbei und erzählte mir, dass alles gut verlaufen sei. Die Operation habe aber statt der vorher veranschlagten 10-12 Minuten 20 Minuten gedauert. Unter der Kniescheibe hatte ich ein dickes Polster aus Narbengewebe (der Fachausdruck ist wohl "Briden"). Das hat er entfernt. Darüber hinaus stellte er bei der Operation fest, dass das Kreuzband am Oberschenkel etwas zu weit vorn saß und dadurch an der sogenannten Nodge, einer scharfen Knochenkante, scheuerte. Nr. 2 hatte also Mist gebaut. Daraufhin hat er die Kante weggeschliffen, so dass das Kreuzband jetzt frei ist. Das ist der Hauptgrund, warum ich jetzt beim Strecken keine Schmerzen mehr habe. der Physiotherapeut meines Vertrauens hat mir inzwischen erklärt, dass dieses Erweitern der Fossa - oder auch Nodge-abschleifen - häufig gemacht wird und keine weiteren Probleme nach sich zieht.
Direkt nach der OP ging ich natürlich wieder zur Physiotherapie. Zusätzlich bekam ich auf Verschreibung auch Lymphdrainage. Diese Technik hatte ich bisher immer für esoterischen Quatsch gehalten, aber es hilft tatsächlich, wenn man es richtig macht. Es entstaut sichtbar. (Abgesehen davon fühlt es sich geil an, aber das verrate ich nicht.)
Ich war dann noch einmal zur Kontrolle bei Dr. Müller-Kittnau, der sehr zufireden mit dem Erebnis war. Er erklärte mir noch, dass die Vernarbungen nicht aufgrund meiner Neigung zu überschießender Narbenbildung entstanden wären, wie ich gedacht hatte, sondern aufgrund der Bewegungseinschränkung durch das falsch gesetzt Kreuzband.
Jetzt muss noch die Stabilität des Knies und die Kraft im Oberschenkel wieder hergestellt werden, aber das ist nur eine Frage meiner Hartnäckigkeit. Zur Zeit gehe ich jeden Tag ins Training und mache vor allem einbeinige Beinpressen, da ich zweibeinig immer noch automatisch "schummle" und das rechte Bein unverhältnismäßig belaste. Dazu kommen Übungen mit der Langhantel im Ausfallschritt sowie Koordinationsübungen auf verschiedenen Wackelbrettchen.
Wenn ich im Herbst die Watzmann-Überschreitung gut geschafft habe, betrachte ich mich als geheilt.
Fazit:
- Man braucht den richtigen Arzt.
- Man braucht den richtigen Physiotherapeuten.
- Nach dem richtigen Arzt fragt man am besten den Physiotherapeuten.
- Man muss nicht nur fleißig trainieren, sondern auch richtig.
Eine Freundin von mir sagt immer: "Die wichtigen Dinge im Leben kann man nicht üben". Das stimmt, aber vielleicht kann dieser Bericht jemand beim Üben helfen.
6.3.2007
Fredrika Gers
Disclaimer: Dieser Artikel erhebt keinen Anspruch auf Richtigkeit, empfiehlt nichts und wendet vermutlich auch medizinische Fachausdrücke falsch an. Mit anderen Worten, ich hafte für gar nichts.
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